„Hilfe, ich habe Angst meine Wohnung zu verlieren!“ Diesen Satz hört man im Bezirk Mitte immer öfter von FreundInnen, NachbarInnen oder auf der Straße in Zwiegesprächen. Die allgemeine Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt macht es EigentümerInnen derzeit leicht, durch den Auszug von AltmieterInnen und dem Einzug neuer ohne jegliche Modernisierung kräftig an der Mietschraube zu drehen. Die Mietpreisbremse der Bundesregierung erweist sich als zahnloser Tiger und die erhebliche Verschärfung des Mietrechts unter der schwarz-gelben Bundesregierung – eigentlich nur zuungunsten sogenannter „Mietnomaden“ – trifft die breite Mitte der Gesellschaft.
Es genügt bereits, nur einmal die Miete unpünktlich gezahlt zu haben, um vermieterseitig das Mietverhältnis aufzukündigen. Zwar können MieterInnen diese Kündigung durch die nachträgliche Zahlung der Miete abwehren. Zahlreiche VermieterInnen gehen aber dazu über, mit der außerordentlichen Kündigung auch eine ordentliche Kündigung auszusprechen. Der Bezirk Mitte erhält wie alle Bezirke davon jedoch erst Kenntnis, wenn die Räumungsklage ins Haus steht – viel zu spät, um rechtzeitig den MieterInnen Hilfen anzubieten. In Kenntnis der Räumungsklage verschickt das Sozialamt an den/die betroffene MieterIn dann ein Schreiben, in welcher ihm/ihr Hilfe bei der Abwendung der Räumungsklage angeboten wird. Dieses Verfahren funktioniert in der Praxis nur unzureichend. Insbesondere Menschen mit psychischen Erkrankungen oder solche, die gerade auf unsicheren Beinen im Leben stehen, brauchen eine andere, eine direkte Ansprache zur Abwendung von Wohnunglosigkeit. Wer gerade eine Krise im Leben durchzustehen hat, wird sich als letztes um die Post im Briefkasten kümmern!
Der Verlust der eigenen Wohnung ist laut empirischen Studien des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Soziales und der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe meist das Ende eines Prozesses von Krisen im Leben. Personen, die sich mit einer Trennung/Scheidung auseinandersetzen müssen, vom ALG II leben oder in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten und ergänzende Sozialleistungen bekommen, sind besonders von Wohnungslosigkeit bedroht. Es sind jedoch nicht die älteren Jahrgänge, die hiervon stark betroffen sind. In erster Linie sind Personen bis zu 35 Jahren von Wohnungslosigkeit bedroht. Neben Personen mit Sozialleistungsbezug liegen die Gründe bei den Jüngeren hier insbesondere bei Streitigkeiten mit den Eltern, die einen Auszug aus dem Familienzuhause begründen, sowie bei Auszubildenden die verspätete Zahlung der Ausbildungsbeihilfe, wodurch zwischenzeitlich die Miete nicht mehr gezahlt werden kann.
Die BAG Wohnungslosenhilfe schätzt, dass wir durch eine konsequente Präventionspolitik ca. 30% weniger Plätze in brauchen würden. Jeder Euro, den wir in die Prävention bei Wohnungsverlust investieren, spart der öffentlichen Hand deutlich höhere Ausgaben bei der anschließenden Unterbringung wohnungsloser Menschen.
Jedes Jahr werden in Mitte mehrere hundert Personen geräumt:
- 2013: 921 Räumungsklagen und 753 festgesetzte Räumungstermine
- 2014: 756 Räumungsklagen und 671 festgesetzte Räumungstermine
- 2015: 705 Räumungsklagen und 605 festgesetzte Räumungstermine
Somit konnten gerade einmal mit dem bisherigen Verfahren durchschnittlich 15 % der Wohnungsverluste verhindert werden.
Zur Abwendung von Wohnungslosigkeit bedarf es daher eines ganzen Pakets an Maßnahmen, das wir in Mitte durchsetzen wollen: Von frühen sozialen Hilfen für besonders von Wohnungslosigkeit bedrohten Zielgruppen, um Krisen frühzeitig zu begegnen, über eine aufsuchende Hilfe nach Eingang der Räumungsklage beim Sozialamt bis hin zu einer Vereinbarung mit den großen Wohnungsbaugesellschaften, damit das Sozialamt nicht erst wie gesetzlich vorgeschrieben mit der Räumungsklage vom drohenden Wohnungsverlust erfährt, sondern möglichst schon bei der Mahnung. Auch die Hilfen für bereits Wohnungslose zur Wiedererlangung von Wohnraum wollen wir verbessern.
Aber auch die gesetzlich mögliche Wiedereinweisung nach dem Allgemeinen Ordnungs- und Sicherheitsgesetz (ASOG) darf kein Tabu sein: Wohnungslose können zur Abwendung akuter Obdachlosigkeit so lange in ihre „verlorene“ Wohnung vom Bezirk wieder „eingewiesen“ werden, bis eine alternative Unterbringung sichergestellt ist. Insbesondere für Haushalte mit Kindern wollen wir dieses Verfahren anwenden, da weder eine Unterbringung im Hostel, noch in einer Wohnungslosenunterkunft Kindern zugemutet werden darf. Während andere Bezirke die Wiedereinweisung nach ASOG schon seit Jahren vereinzelt praktizieren, gibt es bis heute in Mitte nicht eine einzige Wiedereinweisung nach ASOG, obwohl das Bezirksamt hierzu befugt wäre.
– Taylan Kurt, Sprecher für Soziales, Wirtschaft und Ordnungsamtsangelegenheiten
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