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: Wege aus der Armut mitten in Berlin

pixabay Chronomarchie

Ein Beitrag von Silke Gebel und Taylan Kurt

Wer glaubt, in Mitte gäbe es keine Armut mehr, liegt falsch. Zwar verändert sich die Mitte Berlins rasant. Davon profitieren dennoch nicht alle gleichermaßen von Berlins aktuellem Aufschwung.

Die gute Nachricht ist: Laut den neuesten Zahlen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung über die soziale Lage in den Kiezen Berlins gibt es einen Rückgang von Armut betroffener Menschen. Die Entstehung neuer Jobs durch die vorausschauende Berliner Wirtschaftspolitik hat viel dazu beigetragen, dass Mitte nicht mehr die rote Laterne bei den bezirklichen Arbeitslosenquoten innehat und mehr Menschen durch eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

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Die schlechte Nachricht ist: Weiterhin bleiben soziale Unterschiede in einem Ausmaß bestehen, die alarmierend sind. Dies wird nirgendwo so deutlich wie auf der Moabiter Insel mit ihrem "Nord-Süd-Gefälle". 900 Meter Luftlinie liegen zwischen der Elberfelder Straße im Süden und der Rostocker Straße im Nordwesten Moabits. Die sozialen Unterschiede zwischen diesen beiden Kiezen in Moabit sind hingegen um ein Vielfaches größer, als man annehmen könnte.

Während im Süden rund um die Elberfelder Straße "nur noch" jedes 6. Kind von Armut betroffen ist, sind es nur ein paar Straßen weiter an der Huttenstraße im Nordwesten weiterhin 3 von 4 Kindern im Kiez. Das ist doppelt so hoch wie der Berliner Durchschnitt – und das mitten in der Bundeshauptstadt. Auch in der Beusselstraße und in der Lübecker Straße im Norden Moabits sind mehr als die Hälfte aller dort lebenden Kinder arm.

Zudem bezieht auch circa ein Drittel aller dort lebenden Erwachsenen staatliche Transferleistungen, weil sie von ihrem Einkommen nicht leben bzw. weil sie aufgrund gesundheitlicher Beschwerden nicht arbeiten können. Das macht sich natürlich auch bei der Altersarmut bemerkbar. Die Dunkelziffer dürfte hier in der Regel höher sein, als es die offiziellen Zahlen verlautbaren, da nachweislich viele Senior*innen aus Scham keine Sozialleistungen nach einem langen Arbeitsleben beantragen. Es gibt also noch viel zu tun in Berlin und speziell in Moabit, um Wege aus der Armut zu finden.

Benachteiligung durch Armut

Wer arm ist, ist vielfach benachteiligt: Arme Menschen müssen jeden Cent fünfmal umdrehen, bevor neue Anschaffungen infrage kommen. Oft bricht Panik aus, wenn das eigene Kind zum Kindergeburtstag eingeladen wird und das Grübeln beginnt, wie groß bzw. wie klein das Budget für das Geschenk sein darf. Auch eine defekte Waschmaschine kann einem finanziell den Boden unter den Füßen wegreißen.

Die Benachteiligung durch Armut geht aber noch weiter: Arme Menschen wohnen häufiger in einfachen Wohnlagen und sind dort erheblichen gesundheitlichen Belastungen durch schlecht instand gehaltenen Wohnraum bzw. durch eine hohe Verkehrsdichte ausgesetzt. Letzteres bestätigt auch der Berliner Atlas zur Umweltgerechtigkeit. Die Bewohner*innen im Nordwesten Moabits atmen mehr Luftschadstoffe ein und leiden unter einen höheren Lärmbelastung durch den erheblichen Straßenverkehr. Auch gibt es hier weniger Grünflächen als in anderen Kiezen in Mitte. Das führt zu einer Überhitzung des Kiezes und wirkt sich direkt auf die Lebenserwartung der dort lebenden Menschen aus.

Nicht alle Menschen sind gleichermaßen von Armut betroffen. Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund, Alleinerziehende oder Menschen ohne Schulabschluss sind deutlich häufiger von Armut betroffen oder von Armut gefährdet.

Dies bestätigen auch die Erkenntnisse der Regionalen Sozialberichts für Berlin aus dem Jahre 2017. Vordringliche Hilfsangebote zur Armutsbekämpfung und Beseitigung struktureller Benachteiligungen müssen daher insbesondere bei diesen Personengruppen ansetzen, um die weitere Ausbreitung von Armut zu verhindern.

Ist wer einmal arm ist, immer arm? Viel zu oft ist das so. Deshalb muss Politik versuchen diesen Armutskreislauf zu durchbrechen. Angesichts eines überhitzten Wohnungsmarktes ist aber auch ein Abrutschen in Armut näher als man vermutet. Deshalb ist für uns klar: Armutsbekämpfung muss sowohl die Entstehung von Armut verhindern, als auch Armen beim Weg aus der Armut helfen. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Weder die soziale Herkunft noch der Kiez, in dem jemand aufwächst bzw. alt wird darf darüber entscheiden, wie Chancen und Teilhabe verteilt werden.

Armutsbekämpfung muss hier multidimensional gedacht werden und sie muss sich auf die Kieze fokussieren, in denen der Anteil der Menschen am höchsten ist, die sozial am meisten benachteiligt sind. Das heißt bei uns in Moabit ein klarer Fokus auf den nördlichen Kiez. Armutsbekämpfung schafft mehr Teilhabe am Arbeitsleben durch gute Arbeit und beste Bildungsvoraussetzungen für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche durch mehr Kitaplätze, gute und vor allen Dingen sanierte Schulen und außerschulische Lernorte mit einer engmaschigen Betreuung durch Lehrkräfte. Ihre Aufgabe reicht bis zur ökologischen Verkehrswende, damit weniger Bewohner*innen Moabits gesundheitlichen Belastungen durch verkehrsbedingte Luftschadstoffe ausgesetzt werden.

Mit gerechter Politik aus der Armut

Wir Grüne haben auf Bezirks- wie auf Landesebene den Anspruch, Berlin gerechter zu gestalten und insbesondere Armut und die hieran hängenden Benachteiligungen für davon Betroffene zu bekämpfen. Deshalb haben wir mit dem Landeshaushalt zusätzliche Mittel für den Bau bezahlbarer Wohnungen, den Ausbau außerschulischer Lernorte und die Sanierung von Schulen bereitgestellt. Mit dem Mobilitätsgesetz läuten wir die ökologische Verkehrswende ein. Auch die Bezirke erhalten mehr Mittel, um zusätzliches Personal einzustellen, wodurch z.B. die Wohngeldämter personell verstärkt werden und Wohngeldanträge schneller bearbeitet werden können. Auf Landesebene wurde zudem eine Kommission zur Bekämpfung von Kinderarmut eingesetzt. Wir erwarten von dieser zeitnah konkrete Vorschläge, wie die Benachteiligung armer Kinder und Jugendlicher spürbar abgebaut werden kann. Denn nur hier kann die Armutsspirale durchbrochen werden.

Die aktuellen Zahlen des Monitorings Soziale Stadtentwicklung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zeigen aber nur das Ausmaß von Armut der in Moabit wohnhaften Menschen. All jene, die sich die Mieten nicht mehr leisten konnten und deshalb wegziehen mussten, tauchen in dieser Statistik nicht auf. Auch sie dürfen von der Politik nicht vergessen werden! Deshalb ist sowohl die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, als auch die Verhinderung der Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen zentral.

Zahlreiche Weichen, um Armut zu bekämpfen, werden aber auf der Bundesebene gestellt. Während sich die Große Koalition ein wochenlanges unwürdiges Gezerre um einen lange geheim gehaltenen Masterplan aus dem Heimatministerium geliefert hat, sehen 79 Prozent der Deutschen die Bekämpfung der Altersarmut bzw. 76 Prozent die Schaffung gleicher Bildungschancen für alle Kinder als wichtigste Aufgaben von Politik an. Die Große Koalition setzt hier falsche Prioritäten und läuft der AfD hinterher. Dabei darf zum Beispiel die Einführung einer finanziellen Kindergrundsicherung, um Kinderarmut zu verhindern, nicht länger auf sich warten lassen! Wir Grüne haben hierzu bereits einen Vorschlag in den Bundestag eingebracht.

Auch auf Bezirksebene bleibt noch einiges zu tun: Der Ausbau der Schuldnerberatungen, um verschuldeten Menschen zu helfen, kürzere Bearbeitungszeiten beim Wohngeld und die Gewährung finanzieller Vorschüsse für Antragsteller*innen zur Minderung finanzieller Notlagen und die Bekämpfung von Zwangsräumungen, bleiben Dauerbrenner, denn sie treffen insbesondere arme Menschen. Hier ist es z.B. geplant, Sozialarbeiter*innen zu beschäftigen, die Personen, die eine Räumungsmitteilung wegen Mietschulden erhalten haben, persönlich aufzusuchen, damit nicht die Menschen zum Amt, sondern das Amt zu den Menschen kommt mit dem Ziel, über Beihilfen oder Darlehen die Mietschulden zu übernehmen und den Wohnraum zu erhalten.

Silke Gebel, MdA, Fraktionsvorsitzende, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Berliner Abgeordnetenhaus

Taylan Kurt, Sprecher für Soziales, Wirtschaft, Ordnungsamt und Jobcenter der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der BVV Mitte